Kolumne: Der Quälgeist
# Diversifizierung lohnt sich – auch im Sport
Wer schneller und langfristig gesund laufen will, muss mehr tun, als nur Kilometer abzuspulen. Das Zauberwort lautet: gezieltes Krafttraining.
von Jörg Scheller
01.10.2025
Krafttraining beugt Verletzungen vor - gerade auf der Langdistanz. Bild: Unsplash
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Ein paar Wochen vor seinem überraschenden Tod im Mai 2021 unternahm ich mit dem Fitness-Unternehmer Werner Kieser einen Waldspaziergang in Zürich. Wir sprachen über Gott und die Welt, Politik und Wirtschaft – und natürlich über unsere Trainingsphilosophien. Ich erzählte von meinem intensivierten Lauftraining und er, der achtzigjährige Krafttrainingspurist, sagte: «Ach, Lauftraining!» Viele Menschen bekämen davon Hüftschäden. Vor allem, wenn sie, wie ich, auf die Langdistanzen gingen.
In der Tat sind Hüftbeschwerden bei Läufern weit verbreitet, gerade bei Anfängern. Der Grund dafür liegt oft in einer Dysbalance. Die Ausdauer ist bereits relativ gut entwickelt, während die jeweils seitliche Bein-, Hüft- sowie Rumpfmuskulatur vergleichsweise schwach bleibt. Diese Asymmetrie kommt nicht von ungefähr. Im Alltag bewegen wir uns fast ausschliesslich in der sogenannten «Sagittalebene»: nach vorne, hinten, oben, unten. Die dafür zuständigen Muskeln sind relativ stark trainiert, Bewegungen in der «Frontalebene» und «Transversalebene», wie seitliches Abspreizen der Beine oder Rotationen des Oberkörpers, kommen dagegen seltener vor, dementsprechend – wen wundert’s – bleiben diese Muskelgruppen unterentwickelt. Gerade auf längeren Laufstrecken ist aber eine starke, funktionale Muskulatur für Belastungen in der Frontal- und Transversalebene entscheidend. Sie stabilisiert Becken und Beine, fängt monotone Belastungen ab und schützt so vor Verletzungen und Verschleiss. Anders als im Sprinttraining wird auf Langstrecken kaum Muskelmasse aufgebaut, dafür sind die Belastungsreize zu schwach.
## Im Herbst in den Kraftraum
Deshalb ist jetzt, da sich die Laufsaison dem Ende zuneigt, die beste Zeit, mit funktionellem Krafttraining zu beginnen. Wer beim Laufen bereits Hüftbeschwerden verspürt oder im kommenden Jahr mit dem Training starten möchte, sollte mindestens zweimal pro Woche gezielt trainieren – vor allem die ischiocrurale Muskulatur (zweiköpfiger Oberschenkelmuskel, Halbsehnen- und Plattsehnenmuskel), die Glutealmuskulatur (grosser, mittlerer und kleiner Gesässmuskel), die Hüftabduktoren (unter anderem Schenkelbindenspanner und bei gebeugter Hüfte auch der birnenförmige Muskel) sowie die schräge Rumpfmuskulatur (äusserer, innerer und querverlaufender Bauchmuskel). Unerfahrene sollten die grundlegenden Übungen zunächst unter Aufsicht erlernen. Wer Erfahrung hat, findet viele gute Work-outs auf Social-Media-Kanälen, wie zum Beispiel «funcfit» auf YouTube.
> «Wer in einem ideologischen Korridor verharrt, verbaut sich viele Chancen. Wer die Komfortzone verlässt und transdisziplinär trainiert, profitiert.»
Als ich mit 15 Jahren begann, ins Gym zu gehen, hielten viele Ausdauertraining und Krafttraining für unvereinbar. Bodybuilder befürchteten, Masse zu verlieren. Ausdauersportler befürchteten, Masse aufzubauen. Heute denkt und trainiert man zum Glück differenzierter und diversifizierter. Der Schlüssel zum Erfolg beim Laufen liegt oft nicht im Lauftraining selbst, sondern im Krafttraining. Das klischeebehaftete «Out of the box thinking» hilft hier tatsächlich weiter. Aus ähnlichen Gründen findet man den Kampfsportexperten Jason Stacy im Trainerteam der Tennisprofi Aryna Sabalenka oder Elemente aus Fussball und Basketball im Programm des Eishockeytrainers Luca Gianinazzi. Weit über den Sport hinaus hat diese Diversifizierung Symbolcharakter. Wer in einem ideologischen Korridor verharrt, verbaut sich viele Chancen. Wer die Komfortzone des Korridors verlässt und transdisziplinär trainiert, profitiert.
Warum der Schlüssel zum Erfolg beim Laufen oft nicht im #Lauftraining selbst liegt, sondern im #Krafttraining - und warum das weit über den #Sport hinaus Symbolcharakter hat. #Laufsport
https://schweizermonat.ch/diversifizierung-lohnt-sich-auch-im-sport/