Historische Studierendenunterlagen aus Leipzig in Wikisource. Ergebnisse eines Projektpraktikums in der Bibliothek und im Archiv der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ Leipzig
_Von Flora Trojahn_
## Worum geht es?
Das Archiv der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ Leipzig (HMT) bewahrt die Studienunterlagen ehemaliger Studierender des Leipziger Konservatoriums seit dessen Gründung im Jahr 1843 auf. Dazu gehören unter anderem Inskriptionsbücher mit den Einschreibungen von Studierenden sowie ihre Zeugnisse. Auf der Plattform sachsen.digital sind die Digitalisate der historischen Quellen bereits frei zugänglich und in der Personendatenbank CARLA mit den betreffenden Studierendendatensätzen verknüpft.
Während des pandemiebedingten Lockdowns fertigten Mitarbeitende aus der Bibliothek und dem Archiv der HMT Transkriptionen für zahlreiche Studienunterlagen an, die nun zugänglich gemacht werden sollten. Nach der Sondierung einiger Optionen und kollegialer Beratung entschied sich das HMT-Team für Wikisource als passende Arbeitsumgebung. begann im April 2025 mein zweimonatiges Projektpraktikum im Rahmen meines Studiums der Bibliotheks- und Informationswissenschaft an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig (HTWK). In dieser Zeit sollte eine Projektarbeitsumgebung in Wikisource für die Transkriptionen von Unterlagen aus der CARLA-Datenbank vorbereitet und die entstandenen digitalen Objekte im Wikiversum verknüpft werden. Ein weiteres Ziel war die Planung einer öffentlichen zum gemeinschaftlichen Transkribieren in Wikisource.
Abb. 1: Inskription der Studentin Johanna Maria Scheuffler, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Inskription_Band_6_Seite_128.pdf
## Vorgehen
Die Arbeit im Wikiversum begann mit mehreren Schulungen von Jens Bemme (Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden) für das Projektteam aus Mitarbeitenden der HMT-Bibliothek und des HMT-Archivs, in denen er die Grundlagen erklärte und gemeinsam erste digitale Objekte in Wikimedia Commons, Wikisource und Wikidata angelegt wurden. Für die Arbeit in den Wikimediaportalen erstellten alle beteiligten Mitarbeitenden jeweils ein Nutzerkonto.
Die HMT-Bibliothek wollte sowohl die Transkriptionen zu Studiendokumenten einzelner Personen als auch ganze Bände zugänglich machen. Diese Archivalien wurden unabhängig von ihrer physischen Form als mehrseitige Bände digitalisiert und im Rahmen des Landesdigitalisierungsprogrammes des Freistaates Sachsen (LDP) auf sachsen.digital veröffentlicht. Sie sind sehr umfangreich, weshalb die Vorgabe von Wikisource zutraf, dass Projekte mit mehr als 50 Seiten der Community auf der Diskussionsseite für Projekte vorzustellen sind. Ein solcher Beitrag wurde verfasst und erzielte positive Kommentare und keinerlei Widersprüche.
Der grundlegende Workflow des Projektes ist wie folgt: Das Digitalisat von sachsen.digital wird auf Wikimedia Commons hochgeladen. In Wikisource wird ein neuer Artikel mit der Transkription angelegt und das digitale Objekt in Commons verlinkt. Jede Transkription wird zweimal Korrektur gelesen.
Zunächst wurden die Digitalisate und Transkriptionen der Unterlagen einzelner Studierender eingepflegt, für die im Rahmen anderer Projekte bereits Transkriptionen erstellt wurden oder die eine große Bedeutung für die HMT haben. Dabei konnten Bearbeitungscredits gesammelt werden, die neu angemeldete Personen benötigen, um beispielsweise selbst Medien in Commons hochzuladen. Für einige ehemalige Studierende, wie etwa Johanna Maria Scheuffler, existiert nun eine Themenseite, die zu den Transkriptionen führt.
Abb. 2: Themenseite von Johanna Maria Scheuffler in Wikisource, https://de.wikisource.org/wiki/Johanna_Maria_Scheuffler
Abb. 3: transkribierte Inskriptionen von Johanna Maria Scheuffler und Franz Moritz Thalemann in Wikisource, https://de.wikisource.org/wiki/Archiv_HMT_Leipzig_Inskription_Band_6_Seite_128
Mit den gewonnenen Erfahrungen wurde anschließend eine übergeordnete Themenseite für das Projekt erstellt, die alle Transkriptionsseiten bündelt, verlinkt und eine detaillierte Projektbeschreibung enthält.
Dazu gehört auch die Editionsrichtlinie, die auf den allgemeinen Wikisource-Editionsrichtlinien und den im Hochschularchiv gültigen Regeln basiert. Beide überschneiden sich zum Großteil. Für die Studienunterlagen gelten jedoch einige Besonderheiten, die in den Richtlinien entsprechend festgelegt werden konnten. Zusätzlich wurden Prototypen für verschiedene Dokumentarten verlinkt und Formatierungshilfen angegeben.
Die Themenseite beinhaltet darüber hinaus eine vollständige Übersicht über die vorhandenen Inskriptionsbücher und Zeugnisse, den Stand der internen Transkriptionen sowie ihren Bearbeitungsstand in Wikisource. Die Bände mit dem höchsten Bearbeitungsstand wurden zuerst in Wikimedia Commons als Mehrseitendokumente hochgeladen. In Wikisource wurden jeweils Indexseiten angelegt, die wieder auf die Editionsrichtlinien und Besonderheiten des betreffenden Bandes hinweisen. Dies sind im Moment die Inskriptionsbände acht und neun sowie der erste Zeugnisband. Sie werden noch immer bearbeitet.
Abb. 4: Indexseite des neunten Inskriptionsbandes, https://de.wikisource.org/wiki/Index:Inskription_Band_9.pdf
Die Verknüpfung der angelegten digitalen Objekte erfolgte über Wikidata. Im Datenobjekt der Einzelpersonen wurden die Commons-Kategorie und die individuellen Wikisource-Seiten verlinkt. Die Themenseite des Projektes wurde übergeordnet im Objekt der HMT Leipzig verknüpft. Zusätzlich wurden auf den Wikipedia-Seiten der einzelnen Studierenden Verlinkungen zur Personenkategorie in Commons und der jeweiligen Themenseite in Wikisource angelegt.
## Herausforderungen und Erfahrungen
Das Wikiversum besteht aus zahlreichen verschiedenen miteinander verknüpften Portalen, Sprachversionen, Projekten, Artikeln und Daten. Sich als neue Nutzer:in in diesen Strukturen zu orientieren ist herausfordernd, weshalb die Einführungsworkshops von Jens Bemme zu Beginn des Praktikums besonders sinnvoll und nutzbringend waren.1
Neu angemeldete Nutzer:innen im Wikiversum müssen durch das Bearbeiten von Artikeln und Datensätzen zunächst Credits sammeln, um weitreichendere Bearbeitungen durchführen zu können. Dies verzögerte einerseits die Arbeit am Projektbeginn, andererseits konnten dabei wertvolle Erfahrungen gesammelt und auf Basis der Wiederholungen ein eigener Workflow entwickelt und erprobt werden.
Eine weitere Herausforderung war das Formatieren von Artikeln in Wikisource. Die vielen verschiedenen Hilfeseiten unterstützen zwar, sind aber von unterschiedlicher Qualität und Tiefe. Da Wikisource fast ausschließlich von Freiwilligen betreut wird, ist dies jedoch verständlich. Insgesamt ist die Community der deutschsprachigen Wikisource zwar klein, aber außerordentlich hilfsbereit und motiviert. So konnte bei Fragen immer eine helfende Person gefunden werden.
Das Vorgehen wurde fortwährend dokumentiert, sowohl im internen Projektmanagementsystem der HMT als auch auf der Themenseite in Wikisource, z.B. in der Übersicht über die Bearbeitungsstände der Bände oder den Formatierungshinweisen in der Editionsrichtlinie. Dies erwies sich in der Bibliothek als sehr hilfreich für die Einarbeitung anderer Personen in das Projekt.
Die etwa 13.000 in CARLA verzeichneten Personen weisen als ein Erschließungselement durchgehend eine ID der Gemeinsamen Normdatei (GND) auf. Um dies zu erreichen, wurden im Zusammenhang der CARLA-Datenerfassung bereits bestehende GND-Personensätze ergänzt und zahlreiche neu angelegt. Um Informationen aus der GND in ein Wikidata-Objekt zu importieren oder ein solches mit GND-Daten neu zu erstellen, kann das Tool QuickGND verwendet werden. Für die Arbeit mit Quickgnd werden allerdings Bearbeitungscredits in Wikidata vorausgesetzt, die hier noch fehlten. Somit konnte Quickgnd vorerst leider nur mit Hilfe von Frank Reichert, dem Entwickler des Tools, und Jens Bemme verwendet werden.
Während der Zusammenarbeit brachten beide die Idee vor, für die in CARLA verzeichneten Personen Objekte in Wikidata und/oder FactGrid anzulegen. Da es sich dabei um ein sehr umfangreiches Vorhaben handelt und das Praktikum zeitlich begrenzt war, wurde dieses Projekt bisher noch nicht begonnen. Eventuell wird die Idee aber in Zukunft mithilfe eines von Frank Reichert entwickelten Tools umgesetzt.
Die Inskription von José Julian Jimenez beschäftigte das Projektteam lange, da sie rassistische Begriffe enthält. Das mögliche Vorgehen wurde im Team besprochen und nach Hinweisen und Richtlinien recherchiert. Aus den vielen Diskussionen der Community im Wikiversum geht keine einheitliche Meinung zum Umgang mit problematischen Inhalten in historischen Quellen hervor. In anderen Wikisource-Projekten wurden solche Begriffe nach Vorlage transkribiert und ohne eine weitere Kontextualisierung veröffentlicht.2 Das Projektteam wandte sich an den Referenten für diskriminierungs- und barrierefreies Studium der Hochschule. Dieser riet zu einer kritischen Einordnung, welche in einem Disclaimer auf der übergeordneten Themenseite und direkt bei der Transkription umgesetzt wurde. Er lautet inzwischen wie folgt: „Einige historische Studienunterlagen enthalten Wörter, die rassistisch und diskriminierend sind. Im Interesse der historischen Genauigkeit werden sie unverändert transkribiert. Die Begriffe spiegeln jedoch nicht die heutige Haltung der HMT Leipzig oder ihrer Mitarbeitenden wider. Wir bitten darum, diese Quellen mit Bedacht und kritischer Sensibilität zu nutzen.“
## Zukunft des Projektes
Das Projekt „Historische Studierendenunterlagen der HMT Leipzig“ in Wikisource wird auch in Zukunft weitergeführt werden, sowohl von Mitarbeitenden der HMT-Bibliothek, über studentische Projektarbeiten und Praktika, als auch von Freiwilligen der Wiki-Community. Insgesamt wurden bisher zwei von 63 Inskriptionsbänden und der erste von 27 Zeugnisbänden unvollständig in Wikisource transkribiert. Die Fertigstellung aller Bände wird in Hinblick auf den Umfang noch einige Zeit in Anspruch nehmen.
Zurzeit ist die Zahl der externen Freiwilligen, die sich an dem Projekt beteiligen, noch recht gering. Dementsprechend gilt es, eine Community aufzubauen und zu pflegen. Um Interessierte zu erreichen, wurde das Projekt bereits auf Tagungen und in einem Transkriptionsworkshop in der Hochschulbibliothek zur Langen Nacht der Wissenschaften am 20. Juni 2025 vorgestellt. Die Veranstaltung rief großes Interesse bei den Teilnehmenden hervor, so dass eine Wiederholung naheliegend ist.
Abb. 5: Flora Trojahn (links) und Elisa Klar (rechts) bei der Langen Nacht der Wissenschaften in der HMT-Bibliothek, Foto: HMT-Bibliothek
Weitere Verknüpfungen des Projektes in anderen Datenbanken wie FactGrid sind geplant und tragen zur Sichtbarkeit des Projektes bei. Derzeit wird die automatisierte Verlinkung der CARLA-Personeneinträge zu den bereits erfolgten Transkriptionen in Wikisource realisiert. So befindet sich nun beispielsweise in dem CARLA-Eintrag von Sophie Streubel in der Box „Dokumente“ unter dem Button „T“ ein Link zu der Transkription ihrer Inskription.
Abb. 6: Verlinkungen in CARLA auf die Transkriptionen in Wikisource und die digitalisierten Studienunterlagen in sachsen.digital, https://carla.hmt-leipzig.de/person/23688
Diese Pläne sind natürlich von den verfügbaren Ressourcen der HMT abhängig, die durch das Praktikum erweitert werden konnten. Gerade wegen dieser Ressourcenfrage in Bibliotheken und Archiven sind Citizen Science Projekte besonders wertvoll. Projekte, die eine Institution allein eher nicht umsetzen oder beenden könnte, werden durch die Hilfe Freiwilliger möglich. Diese erhalten wiederum Einblicke in spannende historische Dokumente und können aktiv ihre Ideen und ihr Knowhow in Forschungsprojekte wie dieses einbringen. Das Wikiversum bietet mit seinen vielen verknüpften Projekten, Daten, Objekten und Dokumenten eine gute Basis zum gemeinschaftlichen Arbeiten.3 Die freie und kostenlose Nutzung der Dokumente stellt eine Chance für die weitere Forschung dar. Die Arbeit im Wikiversum wurde vom Projektteam insgesamt als gewinnbringend erlebt, sodass bereits im Rahmen eines weiteren Praktikums ein neues Projekt mit historischen Stammbüchern aus dem HMT-Archiv in Arbeit ist.
Wer Interesse an historischen Studiendokumenten vom ehemaligen Konservatorium der Musik zu Leipzig hat, ist herzlich eingeladen an den Projekten in Wikisource mitzuarbeiten.
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### Autorin
Flora Trojahn studiert Bibliotheks- und Informationswissenschaft an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig (HTWK) und arbeitet als Studentische Hilfskraft in der Bibliothek der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ Leipzig (HMT).
1. Vgl. auch Mareike König: Bibliotheksbestände mit Wikisource sichtbar machen. Erste Schritte, Stolpersteine und Erfolge. In: Digital Humanities am DHIP, 24. September 2025, https://doi.org/10.58079/14qms [↩]
2. Vgl. u.a. die Diskussion unter https://de.wikisource.org/wiki/Wikisource:Skriptorium/Archiv/2013/Juni [↩]
3. Vgl. den Abschnitt zu Archiven, Bibliotheken und Museen in Aletta Bonn u. a.: Weißbuch Citizen-Science-Strategie 2030 für Deutschland, Leipzig/Berlin 2021, https://doi./org/10.31235/osf.io/ew4uk, S. 111-117, bes. 113 f., 115. [↩]
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OpenEdition schlägt Ihnen vor, diesen Beitrag wie folgt zu zitieren:
GastautorIn (4. November 2025). Historische Studierendenunterlagen aus Leipzig in Wikisource. Ergebnisse eines Projektpraktikums in der Bibliothek und im Archiv der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ Leipzig. _Saxorum_. Abgerufen am 4. November 2025 von https://saxorum.hypotheses.org/14200
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